Eigenbedarfskündigung bei Senioren — Kann dies wegen unzumutbarer Härte ausgeschlossen werden?
Kategorie: Betreuung & Vorsorge
Das Landgericht Berlin hat Stellung dazu bezogen, wann sich langjährige Mieter bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs auf eine unzumutbare Härte berufen können. Was diese Entscheidung für Mieter und Vermieter bedeutet, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Räumungsklage eines Vermieters wegen Eigenbedarfs
Nachdem ein Ehepaar seit 18 Jahren in einer Zweizimmerwohnung in Berlin gelebt hatte, kündigte ihnen der neue Vermieter wegen Eigenbedarfs. Doch die Mieter widersprachen der Kündigung. Sie beriefen sich auf ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihr hohes Alter und eine langjährige Verwurzelung. Der Vermieter verklagte die Mieter auf Räumung.
Das Amtsgericht Berlin-Mitte wies die Klage ab und bezog sich auf ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten. Ferner ordnete es an, dass das Mietverhältnis auf unbegrenzte Zeit fortgesetzt wird.
Landgericht Berlin weist Berufung des Vermieters zurück
Das LG Berlin wies die Berufung des Vermieters zurück. Das Gericht begründete das damit, dass die Mieterin zum Zeitpunkt der Kündigung bereits über 80 Jahre alt gewesen ist. Für ältere Menschen stelle der Verlust der eigenen Wohnung eine besondere Härte dar. Denn ein hohes Alter sei stets mit vielfältigen Beeinträchtigungen verbunden. Darüber hinaus seien ältere langjährige Mieter häufig besonders am Ort der Mietsache sozial verwurzelt. Infolgedessen könne hier offenbleiben, inwieweit der Umzug aufgrund von Gesundheitsbeeinträchtigung der Mieter eine unzumutbare Härte darstellt. Das LG Berlin ließ nicht die Revision zu. Hiergegen legte die Vermieterin erfolgreich eine Nichtzulassungsbeschwerde ein.
Grundsatzentscheidung des BGH
Nachdem der Ehemann der Mieterin im Laufe des Verfahrens verstorben war, hob der Bundesgerichtshof (BGH) die Entscheidung des LG Berlin auf (Urteil v. 03.02.2021, VIII ZR 68/19).
Hohes Alter reicht nicht für Härtefall
Die Richter stellten klar, dass die Begründung der Vorinstanz für das Vorliegen einer Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB zu pauschal ist. Denn ein hohes Alter ist nicht zwangsläufig mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden. Vielmehr hängt dies von unterschiedlichen Faktoren ab wie der Persönlichkeit des Mieters sowie dessen körperlichen und psychischen Verfassung. Darüber hinaus sind langjährige Mieter nicht zwangsläufig mit dem Ort der Mietsache tief verwurzelt. Das gilt auch, wenn sie seit Jahrzehnten dort gelebt haben. Vielmehr hängt das davon ab, ob sie diesen Zeitraum genutzt haben, um etwa Kontakte zu Nachbarn aufzubauen. Zwecks näherer tatsächlicher Feststellungen verwies der BGH die Sache an die Vorinstanz zurück.
Was das LG Berlin abschließend entschieden hat
Das LG Berlin wies abschließend die Berufung des Vermieters gegen das Urteil des Amtsgerichtes Berlin-Mitte endgültig zurück (Urteil v. 25.05.2021, 67 S 345/18).
Härtefall wegen hohem Alter und langjähriger Verwurzelung
Die Richter begründeten das damit, dass ein Umzug aufgrund des sehr hohen Lebensalters der Mieterin von 90 Jahren zum Zeitpunkt dieser Gerichtsentscheidung sowie ihrer tiefen Verwurzelung am Ort der Mietsache eine unzumutbare Härte gemäß § 574 Abs. 1 BGB darstellen würde. Das gilt nach Ansicht des Gerichtes unabhängig davon, ob sie in ihrer Gesundheit beeinträchtigt ist.
Was für eine Verwurzelung des Mieters spricht
Für eine tiefe Verwurzelung spricht laut LG Berlin:
- Dass die Mieterin sich inzwischen seit 24 Jahren in ihrer Mietwohnung aufhält,
- in zwei fußläufig von ihrer Wohnung entfernten Supermärkten einkaufen geht,
- die medizinische Versorgung überwiegend in der unmittelbaren Nähe zur Wohnung und inzwischen in der Wohnung selbst stattfindet (Praxis Hausärztin, Augenarzt, Orthopäde, Krankenhaus für Operationen),
- die Mieterin über viele soziale Kontakte in der Nachbarschaft verfügt,
- die Mieterin zahlreiche sonstige Aktivitäten in der Nähe der Wohnung bzw. in ihrem Stadtteil unternimmt (etwa Aufsuchen von CaMs, Besuch der Philharmonie, Spaziergänge, Gottesdienste in der Synagoge).
Infolgedessen seien die Folgen die mit einem Verlust der Wohnung verbunden sind für die Mieterin so gravierend, dass sie dadurch in ihrer Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG verletzt wird.
Interessensabwägung zugunsten des Mieters
Demgegenüber müssen die Interessen des Vermieters laut LG Berlin normalerweise zurückstehen. Anders sehe das nur aus, wenn dieser sich im Rahmen der Interessensabwägung nach § 574 Abs. 1 BGB auf besonders gewichtige persönliche und wirtschaftliche Nachteile berufen kann. Diese seien jedoch nicht ersichtlich.
Das Gericht hat die erneute Revision zum BGH nicht zugelassen. Die Entscheidung des LG Berlin ist mittlerweile rechtskräftig.
Bedeutung dieser Entscheidung für Mieter
Durch die Entscheidung das LG Berlin werden die Rechte von Senioren bei einer Eigenbedarfskündigung gestärkt, die über ein hohes Alter verfügen und infolge vielfältiger Aktivitäten mit ihrem nächsten Wohnumfeld eng verbunden sind. Zurückgezogene langjährige Mieter haben es schwerer. Unklar ist, ob sie richtungsweisend ist. Vermutlich wird der Begriff der Verwurzelung von Gerichten eng ausgelegt. Dafür spricht, dass der BGH mit Urteil vom 03.02.2021, VIII ZR 69/18 (Rd. 29) von einer Ausnahmesituation ausgeht. Maßgeblich sind alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls, die im Rahmen einer Gesamtabwägung berücksichtigt werden. Schwierig wird die Situation für Mieter, wenn der Vermieter sich auf gewichtige Nachteile beruft.
Praxistipp für Mieter
Dies bedeutet: Bei einer Eigenbedarfskündigung müssen Rechtsanwälte, die Mieter vertreten, aufs „Ganze“ gehen und akribisch alle Umstände zusammentragen, die für eine unzumutbare Härte sprechen. Dazu gehört neben einer detaillierten Darlegung der Indizien für eine Verwurzelung auch etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen, die durch ein ärztliches Attest detailliert belegt werden müssen. Der Arzt muss genau angeben, welche Folgen ein erzwungener Umzug für den Mieter hätte. Wenn der Vermieter dies bestreitet, ist unter Umständen ein Sachverständigengutachten erforderlich (vgl. BGH, Urteil v. 28.04.2021, VIII ZR 6/19).
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